Die letzten Tage waren intensiv. Nicht nur emotional, sondern auch mit all dem, was ich noch machte. Am Montag sah ich mir eine Perkussions-Show, die sich "Bomba del Tiempo" nennt, an. Als passionierter Drummer natürlich ein Spektakel und genau mein Metier. Gefühlsvolle Rhythmen, tolle Stimmung; ein gelungener Abend. Während des Events sind mir zwei Dinge aufgefallen: 1. Das es jede/r einzelne von den Musikern brauchte, um einen fetten Sound auf die Bühne zu bringen. Egal, ob es sich nur um die Rasseln oder gleich eine Trommel handelte. Alle waren wichtig. Und so geht es auch in unserem Leben. Jede Person kann etwas mit seinem Talent beitragen. 2. Das ist mehr eine subjektive, humorvolle Einschätzung; habe ich alle Klischees von Konzertbesuchern an diesem Event erlebt. Das möchte ich euch nicht vorenthalten. Leute, die in kurzer Distanz neben mir standen: Der Vogelnest-Mann (Haare wie ein Vogelnest); die Ein-Kopf-Grösser-Frau; der bekiffte Dread-Head (inkl. seiner Marihuana rauchenden Kollegen trotz Rauchverbot); der Bommelmützenträger; der Softie-Sunnyboy, welcher jedes Mal eine andere seiner Kolleginnen im Arm hielt und seine Haare beinahe in meinem Gesicht hatte; die pogende Mittdreissigerin, die jemanden anstiess und meine Jacke dadurch einen Schluck Bier abbekam; und last but not least die ohrenbetäubend pfeifende Zwanzigjährige, die mir fast ein Hörsturz bescherte.
Am Dienstag wurde es das erste Mal emotional. Nicht nur das Ben und Soledad mit den Kindern ein Lied für mich einstudiert haben, sondern dass ich mich von Sole verabschieden musste.
Dazu kam mir an diesem Tag eine weitere Erkenntnis. Wie wunderbar es doch ist, eine warme Speise zu sich zu nehmen. Ich habe am Morgen ausnahmsweise nicht viel gefrühstückt und war dementsprechend hungrig. Die warme Polenta tat enorm gut bei den zurzeit eisig herrschenden Temperaturen. Man stelle sich nun aber vor es sei generell meine erste Mahlzeit des Tages und nicht ein Ausnahmefall. Genau so geht es einigen Kindern im Projekt. Man lernt sogar beim Essen zu schätzen, was man hat!
An den beiden darauffolgenden Tagen hatte ich mir eigentlich vorgenommen noch einmal Tango zu tanzen und an einen Mundolingo-Event zu gehen. Daraus wurde dann aber nichts. Einerseits war ich am Dienstag ziemlich müde und genoss die Gemeinschaft mit den anderen Volunteers und andererseits traf ich mich am Mittwoch mit Ben und noch ein paar anderen in einer Cerveceria, um meinen Abschlussabend zu feiern. Was wurde mir bewusst? Tango tanzen und Spanisch sprechen kann ich auch noch zu Hause, aber gute Freunde zu haben und mit denen Zeit zu verbringen ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Ganz im Sinne des Leitsatzes: Man muss nicht immer alles gemacht und gesehen haben.
Nun ist das Abenteuer Argentinien vorbei. Es war, um es in einem Wort zusammenzufassen,
M A G I S C H.
Ich hätte nie gedacht, dass ich mit so einer Fülle an neuen Erfahrungen meine Heimreise antreten darf. Mein Reisegepäck, voll von schönen Erinnerungen, kreativen Ideen und inspirierenden Momenten. Und klar, da gab es auch die einen oder anderen herausforderenden Situationen, doch sie machten mich resistenter und erhöhten meine Frustrationstoleranz. Ich hätte mir zudem kein besseres Projekt ausdenken können und auch die Sprache, besonders mit dem Akzent der Porteños (Rio de la Plata Spanisch) gefiel mir sehr gut. Es ist eine absurde Situation. Jetzt, wo ich richtig angekommen bin und mich langsam wohl fühle, muss ich meine Zelte schon wieder abbrechen.
Der Abschied fiel mir schwer. Ich habe mir im Voraus schon gedacht, dass es ziemlich hart wird, aber eben... In der Ronda Final mit den Kids war ich schon den Tränen nahe, besonders als sie mich nochmals alle herzlich umarmten und nicht wollten, dass ich gehe. Es war ein wundervoller Tag, wie aus dem Bilderbuch, obwohl er damit startete, dass Ben ein Rad bei seinem Auto ("La Bestia") wechseln musste ;-) Im Projekt nochmals wie ein Schwamm alle Eindrücke aufsaugen und einfach geniessen! Das liebe Monte Chingolo ist/bleibt ein spezieller, verrückter Ort, den ich irgendwie vermissen werde. Oder habt ihr schon einmal einen Fahrradfahrer mit nur einem Hinterrad gesehen? Richtig emotional wurde es dann als nur noch das Team in der Küche war und wir die Besprechung hatten. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten, als alle Dinge aufzählten, die sie an mir schätzten. Emotionen zulassen, auch wenn man als Mann das stärkere Geschlecht darstellen sollte, ist befreiend und authentisch.
Nun wirds persönlicher: Was mich am Meisten berührt hat, ist die Tatsache, dass ich mehr zu mir selbst gefunden habe. Vom damaligen, eher neutralen Menschen zu einer Person, die Leidenschaften entwickelt und neue Interessensgebiete kennengelernt hat. Ich weiss nun mehr, was ich will und wer ich bin. Die konkretere Auseinandersetzung mit meinen Wurzeln trug ebenfalls dazu bei. Was für ein kostbares Geschenk ist es doch äthiopischer Abstammung zu sein und dieses wertvolle Gut zu kultivieren. Viel zu oft bin ich mir dessen nicht bewusst. Es ist ein Schatz, der mir auf den Weg mitgegeben wurde. Deshalb auch die Begrüssung auf Amharisch.
Ich bin ein Fan von Struktur und konkreten Ansätzen. Daher eine kleine, zusammengefasste Retrospektive auf die vergangenen sechs Monate.
Was werde ich vermissen:
- Die Freiheit und Selbständigkeit
- Die Leute und Kinder aus dem Projekt
- Die Diversität an Aktivitäten im Projekt
- Der argentinische Lebensstil (Mate, Dulce de Leche...)
- Die Vielfältigkeit der Natur
- Das Entdecken einer neuen Kultur/Reisen
- Castellano
- Kochen mit Ale, Mate trinken mit Sergio, Philosophieren mit Ben, Witzeln mit Sole, Plaudern mit Gonza
Was weniger:
- Das Bad zeitweise mit gefühlten 30 Personen teilen zu müssen (Hygiene...? Na ja...)
- Die Küche inkl. Frittiergeruch (que quilombo a veces)
- (Mit jüngeren Menschen, die an einem anderen Punkt des Lebens stehen, zusammenzuleben)
- Mich nicht richtig in der Sprache ausdrücken zu können und das frustrierend sein kann*
- Geld wechseln*
- (Keine wirkliche Möglichkeit tiefgründige Gespräche zu führen/zu philosophieren)
- Die Rush Hour in der Metro und der Hundekot auf den Trottoirs
Was hätte ich besser machen können:
- Mehr in die Spanische Sprache investieren
- Aktiver im Projekt agieren mit eigenen Vorschlägen und Ideen
- Offener gegenüber anderen Menschen sein, häufiger das Gespräch suchen und mir eine argentinische Community aufbauen
- Seize the day! Lazyness brings you nothing
- Sich weniger Sorgen machen und nicht nur auf mich schauen
Was hätte ich mir gewünscht:
- Mehr Leute in meinem Alter/Gleichgesinnte
- Mehr direkte Challenges im Projekt --> "Konfrontation" anhand von mehr Verantwortung durch die Co-Workers
*Dazu ein paar Gedanken:
Beginnen wir mit dem Geld. Ja es ist mühsam, wenn man nichts verdient und daher auf den Taschen seiner Eltern sitzt. Einerseits wird man geiziger, muss sparsam leben und sich Gedanken machen, was man sich leisten soll und was nicht. Doch andererseits erschliesst sich daraus durchaus eine Horizonterweiterung. Ich weiss viele von euch denken sich jetzt, Johnny was jammerst du wieder. Du kommst aus einem doch eher wohlhabenden Elternhaus und bist am nörgeln. Ja, das stimmt. Besonders als Einzelkind ist/wird man egoistisch und gewöhnt sich an einen gewissen Lebensstandard, ob man will oder nicht. Gott sei Dank darf ich hier mit meinen Schwächen konfrontiert werden. Auf der einen Seite bewusster Geld ausgeben, auf der anderen sich weniger Sorgen über diese vergängliche, materielle Sache zu machen!
Das Gefühl jedoch sich wie ein Arbeitsloser zu fühlen und das Geld Anderer auszugeben ist keine einfache Angelegenheit.
Die liebe Sprache. Ich hätte sicher noch mehr herausholen können was das Spanisch betrifft. Da kommen wieder meine schwachen, undisziplinierten Momente zum Vorschein (kein konkretes Ziel vor Augen zu haben ist dabei sicher nicht förderlich). Hinzu kommt meine teils introvertierte Art und die Tatsache, dass ich nie wirklich ein fester Bestandteil der Volunteer-Gruppe war. Ich war noch nie wirklich als Party-Animal bekannt und kam so auch häufig nicht auf die Party-Tour am Wochenende mit. Das Praktizieren der Sprache ist der Schlüssel zum Erfolg --> Ohne Fleiss kein Preis. Glücklicherweise habe ich aber in einer Facebookgruppe für Sprachinteressierte, Kontakt mit einer Argentinierin geschlossen, welche mit mir hoffentlich ab und zu skypt. Ziel ist es dabei, dass sie besser Deutsch lernt und ich mein Castellano verbessere/nicht verliere.
Zum Schluss danke ich zum einen euch allen, dass ihr mich über die sechs Monate hinweg auf meinem Blog begleitet habt. Für eure grossartige Unterstützung, all die lieben Feedbacks und genialen Updates aus der Heimat. Zum andern meinen fantastischen Eltern ohne die ich dieses ganze Abenteuer nie hätte machen können. Ihr seid die Besten! Mein Hauptdank gilt jedoch Jesus, der mich zu dieser Person gemacht hat, die ich jetzt bin. Mit einer nicht beschreibbaren Genialität, enormer Geduld und viel Fürsorglichkeit begleitete er mich in den letzten (nicht immer einfachen) Jahren und ermöglichte mir speziell in meinem 26. Lebensjahr enorm viel.
Mein Leben ist das Zeichen seiner Gnade!
Gracias por todo - Merci viu mau für Aues - Amesegenallu
-Jo
Jo's Corner:
Ich wurde so reich beschenkt in den letzten sechs Monaten, dass ich grosszügiger werden möchte (fällt als Einzelkind nicht immer so leicht). Das Projekt von Ben ist hierbei wirklich eine wundervolle Sache und ich lege es euch aufs Herz zu prüfen, ob ihr es nicht unterstützen wollt. Das Geld kommt zu 100% dem Hilfswerk zu Gute und ermöglicht den Kindern in Monte Chingolo aus ihrem herausfordernden Umfeld auszubrechen.
Wir danken für jeden Franken, ist es etwas mehr danken wir sehr.
The project
https://socialopportunitygroup.com/home
Spendelink:
https://www.givenow.com.au/socialopportunitygroup
All the volunteers |
Bomba del tiempo |
Johnny, no te vayas! |
![]() |
Black & White |
Das letzte Mal Auspowern mit den Kids |
Juancito! |
These boots are made for walking.. ;-) |