Nur noch EINEN Monat und dann betrete ich wieder schweizer Boden (heitermi scho vermisst? ;-) )
Unglaublich, nicht wahr? Jetzt muss ich mich gegen Ende beim besten Willen noch beeilen alles zu erledigen, was auf der Bucket-List steht ;-) Marius ist unterdessen wieder abgereist und der Alltag mit Projekt und WG-Leben ist eingekehrt. Nun gut, ganz Alltag waren die letzen Tag nicht, da wir dank dem Nationalfeiertag eine verkürzte Woche "geniessen" durften. Am 9.Juli 1816 konnte Argentinien offiziell die Unabhängigkeit von Spanien erklären. Dieser Gedenktag jährte sich dieses Jahr bereits zum 203. Mal. Dazu gibt es jedes Mal eine (Militär)parade auf der Avenida del Libertador, wo dem Vaterland (Viva la Patria!), gehuldigt wird. Was mir dabei etwas schräg einfuhr, war die Zelebrierung der Kämpfer (Veteranen) der Falkland-Inseln, welche sich dazumal gegen die Briten gewehrt haben. Man fasst immer noch ein heisses Eisen an, wenn man öffentlich über diesen Teil Argentiniens spricht.
Kompost. Ein Wort, das für viele mit Essensabfällen und Gestank konnotiert wird. Doch Kompost ist viel mehr. Das lernte ich am vorletzten Donnerstag dank der WG-Mitbewohnerin von Sole (Mitarbeiterin des Projekts). Die gelernte Landschaftsarchitektin kommt in unregelmässigen Abständen ins Projekt, um naturverbundene Projekte zu realisieren. So beispielsweise der aus Lehm erschaffene Ofen. Dieses Mal erklärte sie uns die Grundlagen, um einen guten Kompost zu schaffen. Eine kleine Wissenschaft für sich. Insbesondere gefiel mir die Leidenschaft von Pamela währenddem sie uns das Ganze näherbrachte. Am späteren Abend folgte ich der Einladung meiner Spanischlehrerin und besuchte eine Theateraufführung ihrer Combo. Es hat sich gelohnt. Schon allein der spanischen Sprache wegen, aber auch einfach einen kulturellen Event zu besuchen. Ausserdem wieder einmal von Herzen zu lachen, tat der Seele gut. Zu meiner Freude findet die nächste Aufführung in wenigen Wochen kurz vor meiner Abreise statt.
Tags darauf wurde unsere Volunteer-Gruppe an die Universität von Lanus (ein wenig ausserhalb der Hauptstadt) eingeladen für ein paar kreative Workshops. Der erste bestand darin in die Welt des Siebdrucks einzutauchen und mehr Informationen darüber zu erhalten.
Der zweite wurde durch eine Gruppe weiblicher Streetartkünstlerinnen gestaltet, die uns ihre Projekte vorstellten und wir im Anschluss ein solches auf einer Stellwand realisieren durften. Alles in allem eine tolle Sache und einmal was anderes, als die sonst eher theorielastigen Seminare.
Nach einem eher trägen und lethargischen Samstag machte ich mich am Sonntag zur Feria de Mataderos auf. Ein Markt, ein wenig ausserhalb von Buenos Aires, wo Folklore noch gelebt wird. Eine Vielzahl an Markständen luden zum Kaufen und Bummeln ein und in der Mitte des Marktes gab es eine Bühne auf der verschiedene Formationen traditionelle Musik zum Besten gaben.
Vor der Bühne gab es genug Platz für Leute, die dazu tanzen wollten. Ein tolles Spektakel für mich als Städter, der beinahe nichts von der Pampa und dem Landleben Argentiniens mitbekommt. Man konnte förmlich den Stolz der anwesenden Tänzer und Tänzerinnen spüren, währenddem sie mit Banderas den typischen Chacarera tanzten.
Eine knappe Woche später ging es von Heiterkeit und Sonnenschein zu etwas sehr Ernstem.
Ich habe euch versprochen, dass ich mich mehr mit der Geschichte und der Sprache des Landes auseinandersetzen werde. Gesagt getan ;-)
Da ich mich privat mit den dunklen Seiten des Menschen, dessen Abgründen und dergleichen auseinandersetze, war es äusserst interessant ins ESMA-Musuem zu gehen. Eines der düstersten Kapitel der argentinischen Geschichte wird dort präsentiert. Die Diktatur während den 70iger und 80iger Jahren. Die ehemalige Marine-Schule (ESMA) fungierte in den erwähnten Jahren als eine Art Konzentrationslager für Leute, die sich gegen das Regime aufgebäumt hatten. Für knapp 5'000 Personen waren Folter und Tod in dieser Zeit an der Tagesordnung. Unbeschreibliche Gräueltaten wurden innerhalb der Gemäuer verübt und ich musste ein paar Mal leer schlucken als ich die Berichte im Museum las. Besonders furchtbar fand ich die "Todesflüge". Die Insassen erhielten eine Spritze, damit sie wehrlos wurden. Anschliessend brachte man sie in ein Flugzeug und warf sie (lebendig!) in den Ozean. Eine perverse Methode, um Aufständische verschwinden zu lassen und zu garantieren, dass keine Leichen auffindbar sind.
Projektbezogen machen mir zeitweise, die zwei Gesichter einiger Kinder zu schaffen. Einerseits wunderbare, talentierte Kids, die aber im gleichen Atemzug jemand anderen beleidigen, provozieren oder leicht handgreiflich werden. Mit dieser Divergenz umzugehen ist nicht immer einfach. Speziell als Jemanden, der noch keine Erfahrung in der Arbeit mit Kindern gesammelt hat, ist es heraufordernd herauszukristallisieren, wie man den besten Draht zu den Akteuren in diesen Situationen findet. Man ist weder Erziehungsberechtigter noch Lehrperson, sondern eben einfach ein Volunteer. Doch eignet man sich schrittweise Techniken an, um präventiv agieren zu können.
Das mit den zwei Gesichtern kann man teilweise auch auf das Zusammenleben mit den anderen Volunteers übertragen. Es ergeben sich oftmals tolle Gespräche und lustige Situationen. Dennoch gehen sie mir mit ihren Aktionen und Verhalten teilweise ein wenig auf den Geist. Kindergarten! So nenne ich jeweils die Situationen, wenn mein Herz nicht gerade Freudensprünge macht. Aber ich muss mich auch selbst an der Nase nehmen und durch die Augen der teilweise fast acht Jahre jüngeren Personen schauen. Sie sind halt einfach noch nicht an dem Punkt angelangt, an welchem ich stehe. Ihnen fehlt die Lebenserfahrung und auch sonst kleinere Dinge, die sie noch in ihren Lebensrucksack einpacken müssen. Alle kommen aus verschiedenen Familien mit unterschiedlichsten Prägungen, wodurch sie auch nicht die gleichen Voraussetzungen haben.
Den anderen Volunteers mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und nicht als Kritiker und Nörgler in Erinnerung zu bleiben. Das versuche ich mir zu verinnerlichen. Denn auch ich lerne einiges dank ihnen.
Jo's Corner:
JA und NEIN. Zwei kleine Worte, die grosse Wirkung erzeugen. Wie oft hat man schon bei etwas zugesagt, dem man sich im Nachhinein gereuig war. Oder eine Chance verpasst, weil man doch lieber auf Nummer sicher gehen wollte. Ich habe beides schon des Öfteren erlebt. Auf was will ich hinaus? Es geht mir einerseits darum sich selbst besser kennenzulernen und dadurch auch cleverere Entscheidungen zu fällen. Meistens spürt man, wie man entscheiden sollte, es aber dann aufgrund von diversen Faktoren doch nicht macht. Hierbei seine eigene Linie durchziehen und zu seiner Entscheidung stehen ist die wahre Challenge. Speziell bei mir auch NEIN zu sagen ohne schlechtes Gewissen, auch wenn mir irgendwelche Vorteile oder dergleichen angepriesen werden.
Halte kurz inne beim nächsten Mal bevor du etwas zu/absagst und höre auf dein Inneres.
-Jo
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