Mittwoch, 12. Juni 2019

4 Monate vorbei und weitere 2 folgen

Hola y buenos dias

Nur noch acht Wochen und dann betrete ich wieder Schweizer Boden. Ist es nicht erstaunlich, wie sich der Mensch an neue Umstände anpassen kann? Vor einem Vierteljahr habe ich mir gedacht, wie ich diese sechs Monate wohl überstehen werde und nun ist total die Routine eingekehrt und ich fühle mich fast schon ein wenig wie zu Hause. Der Herbst zeigt sich, nach der etwas kälteren Periode, wieder von seiner schönsten Seite. Milde Temperaturen, schöne Sonnenuntergänge. Genau das, was ich liebe.

Am Dienstag ging ich mit einer Kollegin erneut Tango tanzen. Doch dieses Mal war der Unterricht etwas chaotischer. Es gab nicht wirklich ein Konzept und nach der Einleitung und dem Aufwärmen wurden  zwischendurch ein paar kleine Hilfestellungen angeboten. So oder so habe ich wieder ein klein bisschen mehr über diesen Tanz erfahren. Die Faszination bleibt bestehen. Die wunderbare, sinnliche und von grösster Eleganz zeugende Ausdrucksweise, finde ich jedes Mal aufs Neue genial. Es ist von zentraler Bedeutung auch mit kleinen Dingen etwas anfangen zu können. Sich an kleinem freuen und nicht immer das Opfer des Perfektionismus zu sein (ich spreche aus Erfahrung).

Am Donnerstag widerfuhr mir etwas Spezielles. Ich war aufgrund des Wine Wednesdays noch etwas müde und döste im Bus so vor mich hin, als dieser anhielt und Polizisten eintraten. Ihr könnt 100x raten wen sie mitunter ausgesucht haben, um den Omnibus zu verlassen und eine Personenkontrolle durchführten. Glücklicherweise hatte ich eine Passkopie bei mir und verstand die Beamten zu wenig. Ja, Missverständnisse und Unwissenheit sind bei jemandem, der erst seit drei Monaten am Spanisch lernen ist natürlich an der Tagesordnung. Zwischendurch kann dieser Nachteil aber auch als Vorteil dienen. Man verhält sich einfach wie ein "dummer" Tourist und sogleich ist man nicht mehr ein allfälliger Drogendealer ;-). Dafür erlebte ich im Projekt einen wunderbaren Nachmittag.
Donnerstags ist jeweils freies Spiel angesagt. Dafür gehen wir zu einem nahegelegenen Platz und nehmen einige Bälle und sonst welche Spiele mit. Dieses Mal jedoch auch noch Musikinstrumente. Repiniques, Surdos und Bombos. Let's groove it! Es tat richtig gut wieder einmal frei zu "drummen" mit den Kids. Besonders Santi, der zu den Auffälligsten gehört (Anm.: Der Junge, der mehrere Jahr Babynahrung erhielt) hat ein grosses Talent, wenn es um Rhythmus geht oder sonst was mit den Händen gemacht werden muss. Die Kinder haben sonst keine grossen Möglichkeiten vielseitig Neues zu entdecken. In diesem Projekt wird Verborgenes zum Vorschein gebracht. Das ist meine absolute Leidenschaft. In jedem Menschen steckt Talent und Begabung, manchmal muss man es nur ein wenig suchen gehen!  Deshalb mein Zuspruch heute an dich: Du bist wertvoll & dein Talent wird gebraucht!   
Am Samstag wollte ich eigentlich einem Hobby aus meiner Kindheit frönen. Neue Zuglinien und Züge ausprobieren. Ziel wäre die Villa Lugano gewesen, ein südlicher Teil von Buenos Aires, der durch eine Strassenbahn erschlossen wird. Als "echter Schweizer" und Tessin-Fan, so dachte ich mir, muss ich diesen Ort doch fast besuchen gehen. Glücklicherweise machte ich mich am Abend vorher noch schlau. Denn beim Wort "Villa" klingelten bei mir plötzlich die Alarmglocken und ich sollte recht behalten. Villa, zu Deutsch Dorf, ist in Argentinien meist die Bezeichnung für Armenviertel/Slum. Durch die etwas abgelegenere Lage der Villa Lugano und Soldati gerät dieser Teil Buenos Aires ein wenig in Vergessenheit. Das ist mitunter ein Grund, weshalb es sich um einen sozialen Brennpunkt handelt. Ich verbrachte daher meinen Samstag mit Sport, Erholung und Lesen.

Ein weiteres Erlebnis machte ich kürzlich. Da die Köchin krank war, übernahm ich das Kochen und bereitete erneut Arroz con Pollo zu (das war so nicht abgemacht, sondern stand offiziell auf dem Menu-Plan ;-) ). Um eine lange Story kurz zu halten. Alles lief einwandfrei bis auf den Fact, dass praktisch alle Kinder mir sagten: "Johnny, la comida es muy picante hoy" (Johnny, das Essen ist heute gut gewürzt/pikant). Die Kinder, aber auch allgemein die Argentinier sind sich Schärfe gar nicht gewohnt und ich musste innerlich schmunzeln, da das Mittagessen im Vergleich zu meiner sonstigen Liebe zu Schärfe, nicht einmal einen Bruchteil dessen aufwies wie ich es grundsätzlich mag. Ich lerne immer wieder Neues dazu. Am darauffolgenden Tag durfte ich erneut den Kochlöffel schwingen und die Kids hatten offensichtlich ein Trauma durch die gut gewürzte Salsa des Vortages.  Ohne zu Zögern äusserten sie ihre Bedenken dementsprechend in der Einfindungsrunde😄.

Um noch mehr von Argentinien und Buenos Aires zu entdecken, will ich mich zum Ende meines Einsatzes noch intensiver mit den Leuten und der Geschichte dieses Landes auseinandersetzen. Dazu nehme ich mir unter anderem vor, nach meinen Ferien einerseits ins ESMA-Museum zu gehen (Geschichte über die Diktatur Argentiniens), sowie regelmässig an Mundolingo- oder weiteren Sprachevents teilzunehmen. Diese sind dafür gedacht, mit anderen Menschen in einer Bar die eigenen Fremdsprachenkenntnisse zu verbessern und Kontakte zu knüpfen.

Jetzt geht es aber erstmal in den Norden und Nordwesten Argentiniens. Wiederum lasse ich Onkel Laptop zu Hause und freue mich riesig, euch dann in knapp drei Wochen von meinen Abenteuern zu erzählen!

Jo's Corner:

Manchmal muss man etwas, was einem wertvoll und wichtig erscheint loslassen, damit man selbst im Leben weiterkommt. Solch ein Prozess des Abschieds ist schmerzhaft und kann an die Substanz gehen. Doch im Ende wird man dadurch stärker. 


Mach dich auf den Weg, hab keine Angst!


Hierzu ein passendes Bild:




*Für eine sichere und beschwerdefreie Reise

*Guter Zusammenhalt zwischen mir und meinem Kollegen

*Weisheit für die kommenden Monate (Rückkehr Schweiz, Studium, Wohnen bei den Eltern usw.)



-Jo




Dynamisch am Werk

Volunteer ist müde. Volunteer ist am schlafen.

Wine Wednesday 










Milonga
Die lieben Schweizer wieder...
Outdoor Bum-Bum

Sonntag, 2. Juni 2019

Eingelebt

Buen dia a todos!

Es ist kalt geworden in Buenos Aires. Viele in der WG sind am husten und sehnen sich schon fast ein wenig nach der Rückreise ins warme Europa. Ich kann sie teilweise verstehen und doch muss ich sagen, dass ich den argentinischen/"buenosairischen" Flair vermissen werde. Er ist schwierig zu beschreiben, aber diese Vielfalt und der Reiz als würde man durch Paris schlendern, sind einmalig (Ich bin by the way grosser Paris-Fan). Auch die Leute sind m.E etwas alternativer in ihrer Art als im übrigen Teil Südamerikas, vielleicht sogar etwas rauer, was aber in einer Weise auch seinen Charme hat. Eventuell ist es aber auch der europäische Einfluss, der mir gut gefällt. Viele Shops, wo man "fancy" Lebensmittel einkaufen kann und gemütliche Cafés vermitteln irgendwie eine Wohlfühlatmosphäre. Gerade kürzlich lief ich durch die Strassen dieser Stadt und war einfach nur glücklich. Buenos Aires ist spannend mit all den diversen Gerüchen und Orten. Ich kenne mich hier langsam, aber sicher aus und verstehe auch ein wenig die Eigenheiten, welche hier gang und gäbe sind. Eingelebt. So kann man mein Gefühl/Zustand wohl nennen.

Am letzten Sonntag wurde ich gegen mein eigentliches Konzept von einer freiwilligen Mitarbeiterin im Gottesdienst angesprochen. Grundsätzlich wollte ich in der Masse der Besucher untertauchen und die Anonymität ausnutzen. Doch dem war glücklicherweise nicht so. Nach einem kurzen Gespräch erhielt ich die Handynummer eines Kleingruppenleiters. Das heisst Connecten mit anderen Christen in Buenos Aires. Coole Sache und definitiv ein Weg, um aus der Komfortzone rauszukommen. Am Donnerstag war es dann soweit und ich ging in die besagte Kleingruppe. Es war ein schöner Event, der zwar weder mit der Bibel noch sonst was mit dem Glauben als solches zu tun hatte, sondern einfach dem eigentlichen Kennenlernen "neuer" Gottesdienstbesuchern diente. Ich hatte erneut die Chance mein Spanisch zu trainieren und verbrachte einen amüsanten Abend mit anderen Christen.
Ich freue mich bereits in 14 Tagen wieder vorbeizugehen.

Mit dem Spanisch geht es immer wie besser. Es erfüllt mich zeitweise mit Stolz, dass ich ab und zu  bereits das Meiste verstehe, was die Leute sagen oder jedenfalls den Kontext der Unterhaltung (Ausnahmen nicht ausgeschlossen). Schwierig wird es, wenn die Personen schnell oder undeutlich reden. Mit dem Sprechen happert es bei mir (immer) noch, doch es geht auch da langsam vorwärts. Wie ich das in einem der ersten Blogbeiträge erwähnt habe, ist die Sprache das eigentliche Fundament, um Zugang zu einem gewissen Land und deren Leuten zu haben. Je mehr ich mir Spanischkenntnisse aneigne, desto mehr werde ich auch zu einem Teil der Einheimischen.
Man spricht mit mir, ich kann ein wenig antworten und sogleich ergibt sich ein kleines Gespräch.

Letztes Wochenende war ein Spezielles! Einerseits war am Samstag ein offizieller Feiertag und damit konnte man nicht ganz aus dem Vollen schöpfen, was programmtechnisch normalerweise möglich wäre. Andererseits waren wir das ganze Wochenende nur zu fünft in der WG, da der Grossteil in Uruguay war (Yeah!). Das war Erholung pur. Ruhe, Gemütlichkeit, sich etwas gönnen. Genau mein Geschmack! (Anmerkung : Wir haben jede Woche einen gewissen Betrag für das Essen zur Verfügung, den wir ausgeben können. Durch das, dass wir nur zu fünft waren, haben wir richtig gediegen gegessen). Am Samstag ging ich am späteren Nachmittag in ein Café, ungefähr 15 Gehminuten von unserer WG entfernt, um zu schreiben und zu lesen. Ich habe richtig Gefallen daran gefunden zwischendurch in ein solches Lokal zu sitzen und einfach "sein" zu dürfen. Cafés besitzen durch die Diversität der Kunden, den in der Luft liegenden Kaffeeduft und den zarten Hauch von Intellektualität, das gewisse Etwas.

Tags darauf halfen wir als Volunteers dann beim Finale des Arte-Latte-Wettbewerbs mit. Schön war dabei, dass dieses Mal auch die Mitarbeiter aus Monte Chingolo dabei waren. Monte Chingolo ist ansonsten etwas von der Hauptstadt abgenabelt und deren Einwohner gehen selten bis gar nie nach "Downtown Buenos Aires". Ich bin immer noch hellbegeistert vom Projekt. Die Wertschätzung, die mir jedes Mal entgegengebracht wird, meine persönliche Entwicklung, welche von Seiten der Projektleiter erwünscht ist und die vielgepriesene Vielseitigkeit sind Spitzenklasse!
Etwas Besonderes muss ich an dieser Stelle aber noch zusätzlich hervorheben. Die neuen Gerichte resp. deren Abwandlungen, die ich kennenlern(t)e.Beispielsweise Brownies aus Indianerbohnen, glutenfreie Crackers aus Maniok- und Kichererbsenmehl oder Kartoffelgratin mit Chiasamenfüllung. Eine wahre Inspirationsquelle für einen kochbegeisterten Menschen wie mich. Ben ist für mich dabei ein grosses Vorbild! Die ganze Auseinandersetzung mit Ernährung und gesundem, ausgeglichenem Lebensstil faszinieren mich sehr.

Vor zwei Tagen fand das allwöchentliche Seminar in einem Plenarsaal der Universität Buenos Aires statt. Wir besuchten einen Teil eines zweitägigen Kongresses, der sich mit dem barrierefreien Studieren für Menschen mit kognitiven oder köperlichen Einschränkungen befasste. Häufig muss man sicher wieder vor Augen halten, welches Privileg wir "gesunde" Menschen (nicht despektierlich gegenüber anderen gemeint!) geniessen dürfen laufen, sehen und hören zu dürfen.
Und dennoch sehen wir es viel zu oft als selbstverständlich an...

Gestern machte ich einen Abstecher nach Chinatown (ja auch Buenos Aires besitzt eines). Wobei man eher von einer Strasse sprechen kann, denn so gross ist diese "Stadt" auch wieder nicht. Die Atmosphäre und die Produkte in den jeweiligen Läden stimmten mich ein wenig nostalgisch und versetzten mich in meine beiden China-Aufenthalte zurück. Chinesen sind sowieso ziemlich präsent in Buenos Aires. Immer wieder sieht man Läden des täglichen Bedarfs, die von Chinesen geführt werden (im Volksmund "Chinos" genannt). So sah ich sogar einmal einen Laden, der sich "ArgenCHINO" nannte ;-). Ziemlich befremdend und teilweise ein wenig beängstigend.


Jo's Corner:

Am Mittwoch hatten wir ausnahmsweise frei, da Ben eine Erkältung auskurieren musste. Das heisst einen ganzen Tag frei während der Woche. Und dann kam er. Der innere Schweinehund. Anstatt Spanisch zu lernen oder etwas für das Seminar zu suchen, sah ich mir zuerst einmal ein paar Dokus an. Viel Zeit zu haben ist nicht nur positiv... Gelegenheit macht Diebe: Zeitdiebe! Erst als meine Augen bald schon mehr viereckig als rund waren, stoppte ich das Ganze und machte mich an die richtige Arbeit. Doch ich war verspannt und unkonzentriert. Nach längerem Hin- und Her überwand ich mich ins Gym zu gehen und ES TAT GUT. Trotz meiner leicht angeschlagenen Gesundheit machte ich mich auf den Weg ins Fitnesscenter und trainierte meinen Kräften entsprechend.
Was heisst das?
Binsenwahrheit: Zuerst die Arbeit und dann das Vergnügen.

Mach zuerst das Ungemütliche/Unbequeme und geniesse anschliessend deine "Belohnung". Strukturiere deinen Alltag, damit du am Ende des Tages zufrieden sein kannst und nichts bereust :-)


-Jo




Bienvenido a Chinatown
Streetart

Locro. Das nenne ich südamerikanische Essenskultur!
Aus der Rubrik: "Es fährt und hat vier Räder"


Die Monte Chingolo Band ;-)